Millionen von Menschen waren mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kreuz und quer in „Europe on the move“, wie auch der Titel eines Buches von Eugene M. Kulischer lautet. Die einen flohen aus dem Osten vor der Roten Armee, Soldaten irrten durch brennende Städte und zertrümmerte Landschaften, gleichzeitig sahen befreite Zwangsarbeiter und die Überlebenden der Shoah einer unsicheren Zukunft entgegen. Übertroffen werden diese Ströme erstmals seit 70 Jahren mit den Flüchtlingen aus Afrika und Nahost. Während sich gegenwärtig 1500 Flüchtlinge auf den gesamten Landkreis mit seinen rund 116 000 Einwohnern verteilen, lebten dem Bericht des damaligen Bürgermeisters an die amerikanische Militärregierung zufolge allein in Landsberg 1946 neben seinen 10178 Bewohnern 4729 Juden, 1531 Flüchtlinge und 773 Ausländer.
Es war gerade für Juden eine bittere Ironie der Geschichte, dass sie sich im Land der Mörder besonders sichern fühlen konnten. Deutschland sollte für sie zum Wartesaal vor der ersehnten Auswanderung vor allem nach Israel oder Amerika werden. Die anfänglich restriktive Einwanderungspolitik der Amerikaner, die der Engländer sowieso, machte diese Pläne indes vorerst zunichte. Erst mit der Gründung des Staates Israel 1948 erfüllte sich für viele die Hoffnung auf Auswanderung. Bis dahin galt es, irgendwie durchzuhalten. Die Anfänge standen unter keinen guten Vorzeichen. In der Saarburg-Kaserne hatten die Amerikaner ein Sammellager eingerichtet, in dem nicht nur Juden, sondern auch andere „Entwurzelte“, Displaced Persons (Kulischer), eine erste Bleibe fanden: unter ihnen auch Belgier, Franzosen, Holländer, Menschen aller Konfessionen. Die demütigende Behandlung durch die Amerikaner, die die Saarburg-Kaserne mit Zäunen und Stacheldraht versehen hatten, fand ein Ende, nachdem der Harrison Report auch Präsident Harry S. Truman im August 1945 erreicht hatte. In Landsberg wirkte der junge US-Major Irving Heymont geradezu segensreich für die ständig zuströmenden Juden, die vor allem aus dem Baltikum kamen. Ende 1946 zählte man in Bayern beinahe 150 000 DPs, das Landsberger Lager, das erste von insgesamt 184 Einrichtungen bundesweit, durchliefen bis zu seiner Schließung im Herbst 1950 rund 23 000 Menschen.
|
Speisesaal im DP-Lager Landsberg, Dezember 1945 |
Dank charismatischer Persönlichkeiten wie Samuel Gringauz schöpften die meisten der Trauma-tisierten, Erschöpften und zum Teil Todkranken, bald wieder Zuversicht. Und so entstanden eigene Schulen, man orientierte sich an Lehrplänen in Palästina, baute eine eigene Gerichtsbarkeit auf, trieb Sport wie Fußball bei Ichud Landsberg, spielte Theater, gab Konzerte, erlernte Berufe, und man gab eine der wichtigsten jüdischen Publikationen jener Zeit heraus, die „Landsberger Lager Cajtung“. „Trotz ihres oft beklagenswerten körperlichen Zustands und der Torturen, die zahlreiche Frauen in den Lagern erlitten hatten“, vermerkte Oliver Guez in „Heimkehr der Unerwünschten“, seien die DPs „außergewöhnlich fruchtbar“ gewesen. Einige DP Lager verzeichneten 1946 die weltweit höchsten Geburtenraten. Guez zufolge waren die vielen Babies für viele Juden Ausdruck des Triumpfes über Deutschland, geradezu eine Kampfansage an ihre „ehemaligen Inquisitoren“.
Abraham J. Peck zum Beispiel wurde am 4. Mai 1946 in Landsberg geboren, wanderte 1949 nach Amerika aus und wurde später Direktor der Jewish Archives in Cincinnati. In dem zusammen mit dem Urenkel Richard Wagners, Gottfried Wagner, verfassten Buch „Unsere Stunde Null“ stellte er 2006 fest, dass heute noch nicht einmal der kleinste Hinweis in Landsberg sichtbar an vormals jüdisches Leben erinnere. Allein, die Gedenktafel für das ehemalige DP Lager Landsberg, stiftete 1987 Irving Heymont, dessen Briefwechsel mit seiner Frau Zeugnis der Schwierigkeiten auch des Zusammenlebens mit den Landsbergern waren und sind. Von einem wirklichen Zusammenleben indes konnte keine Rede sein. Im Gegenteil. Zu groß waren Skepsis und Misstrauen auf beiden Seiten. Obschon längst widerlegt, halten sich bis heute Gerüchte über vermeintliche Racheaktionen jener Zeit, die zwar auch stattfanden, aber in Landsberg ungleich harmloser ausfielen als etwa in Nürnberg, wo es zwei Angehörigen der Splittergruppe Nakam gelungen war, das Brot für die Insassen des Internierungslagers Langwasser mit Arsenik zu tränken. Dass sie allen Grund hatten, Deutsche zu hassen, ist eine andere Sache.
Zum Glück haben zahlreiche private Kontakte im Laufe der Zeit gar freundschaftliche Beziehung entstehen lassen. Jüdisch-deutsche Beziehungen sind zudem fester Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden. Im Grunde genommen ist es immer noch ein Wunder.
Karla Schönebeck, 2016
|