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Jacques Couëlle (1902 bis 1996)

- von Manfred Deiler -

 
 

Jacques Couëlles Leben war geprägt von einem leidenschaftlichen Interesse für Architektur, Archäologie und Kunstgeschichte. Der am 7. September 1902 in Marseille geborene Architekt war ein typischer Mann des französischen Südens, den die Kunst ebenso inspirierte wie eine überbordend vorhandene Natur mit ihren mannigfachen Facetten. Bereits 1925 gründete er die Gruppe „La décoration architecturale“ in Aix-en-Provence, die bis 1937 bestand. In dieser Zeit restaurierte und baute er selbst noch nach traditionellen Auffassungen. Nachdem er sich Studien der Bionik gewidmet hatte, änderten sich seine Auffassungen grundlegend. Das ebenfalls von ihm gegründete „Centre de recherches des structures naturelles“ wandte sich gegen den Rationalismus, dem daraus resultierenden Primat des „rechten Winkels“ und überhaupt, der strengen und strikten Linie in der Architektur. Nicht umsonst gilt Couëlle vor diesem Hintergrund als Verfechter des organischen Bauens, charakterisiert durch freie Formen und bewegte Oberflächen, der architecture-sculpture. Von 1970 bis 1975 lehrte der unter anderem mit Pablo Picasso und Salvator Dali befreundete Couëlle an der „École spéciale d'architecture“ in Paris. Ein Jahr später wurde er Mitglied der „Académie des Beaux-Arts“ und des „Institut de France“.

 

Jacques Couëlle, Plakat Centre Pompidou, 1988
Jacques Couëlle, Costa Smeralda - Sardinen 1968

Für seine künstlerischen Verdienste wurde er mit dem Orden der Ehrenlegion an der „Académie française“ ausgezeichnet.
„In Verbindung zur Natur wollte Couëlle ein bewohnbares Universum errichten, in dessen Zentrum das menschliche Individuum steht. So offenbaren seine Arbeiten (...) Rückgriffe auf geomorphe Strukturen sowie Inspirationen durch Höhlenbauten. Geradezu folgerichtig dazu schuf er seit 1961 bewohnbare Skulpturen (sculpture habitées).

Couëlle war international, unter anderem seit 1955, für private und touristische Vergnügungsstätten tätig: in den USA, auf den Antillen, im Senegal (L'Acropole de la Négritude für Léopold Senghor), in Tunesien, Griechenland, Portugal und vor allem im französischen Mittelmeerraum (zum Beispiel für Agha Khan, Colette, Charlotte de Monaco). Von den zahlreichen Gartenanlagen, Hotels, Bahnhöfen, religiösen Bauten, touristischen Einrichtungen und Residenzen sind zu erwähnen: Pinchinade in Mouans-Sartoux, 1961; das Dorf Castellaras-le-Vieux, 1964; der Park des Hospital Nord de Marseille, 1966; das Feriendorf Port-la-Galère in Théoule-sur-Mer, 1967; die sogenannte „maison-paysage“ in La Roche-Couloir, 1966 und in Castellaras-le-Neuf bei Grasse, ab 1963, sowie das Hotel Cala di Volpe, 1981, in Sardinien“.

 

Maison-Paisage, Sardinien
Hotel Cala di Volpe, Sardinien 1981

 

Acropole de la Négritude, Gorée Senegal
Karim Agha Khan - Bauprojekt , Sardinien

 

Als im vierten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Baumaterialien verknappten und dadurch die Baukosten stiegen, suchten Ingenieure und Architekten nach Möglichkeiten, Holz, Stahl und Zement zu sparen. 1940 entwickelte Jacques Couëlle eine patentierte Methode, um Bauten aus keramischen Wölbröhren (Fusées Céramique) zu errichten. Dabei ließ er sich von der Natur, insbesondere von Bambus- und Schachtelhalmgewächsen inspirieren, deren hohle Halme (Internodien) sich durch Knoten (Nodien) versteifen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Vorteile der patentierten Bauweise Couëlles militärisch erkannt und Fusées Céramique wurde u.a. beim Bau von Baracken, Unterständen und Brücken verwendet.

Fusées Céramique: Inspiration von der Natur

In Marseille entstand eine große Fabrik zur Produktion der keramischen Röhren. Die dort in großen Mengen lagernden Röhren wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Architekten Andre Bruyère und Fernand Pouïllion verwendet, um Behelfsunterkünfte für die wohnungslose Bevölkerung zu errichten. In dieser Zeit entstand in Marseille auch das Auffanglager „Camp du Grand Arénas“ am Chemin de Sourmiou. Dieses Lager mit seinen 200 Baracken aus Fusées Céramique war ab 1945 ein wichtiges Durchgangslager für jüdische Displaced Persons auf ihrem Weg nach Palästina.


Einige Jahre später wurde das System in Belgien und den Niederlanden eingeführt. In Echt produzierte die Fabrik ''De NV Nederlandse Fusée Ceramique Maatschappij, Nefumij'' jährlich bis zu zehn Millionen „fusées ceramique“. Viele Tonröhrengewölbe wurden, vor allem in den fünfziger Jahren, in Lagerhäusern, Fabriken, Garagen, Schwimmbädern und Kirchen errichtet. Als Beispiel sei hier die von dem Architekten Huysmans entworfene Kirche St. Joseph in Sittard erwähnt.
Als in den sechziger Jahren die Stundenlöhne stiegen und Dächer mit Stahl und Holzkonstruktionen preiswerter waren, wurde das Bauen mit Tonröhren unwirtschaftlich und galt als veraltet.


Verwendete Quellen:

  • Allgemeines Künstlerlexikon, Günter Meißner - K. G. Saur Verlag
  • http://deu.archINFORM.net: Jacques Couëlle, Lebensdaten
  • Archives nationales - 59, rue Guynemer 93383 Pierrefitte-sur-Seine cedex
  • http://www.archivesnationales.culture.gouv.fr/camt/fr/memoires/donnees_expositions/00_09_15-00_12_15_Jacques_couelle/expocouelle10.html
  • Jacques Couëlle parenthése architecturale - G. Luigi, Pierre Mardaga 1995;
  • Jacques Couëlle : quand l’architecture se révèle sculpture - Virginie Thiéry, Labyrinthe Nr. 12 (2002)
  • Fusée Ceramic Vaults and Domes in the Netherlands -Wim Kamerling, Structural Engineer, University,Delft, Faculty Architecture)
  • https://marestelle.wordpress.com/blog/sardegnacord/architetti
  • http://www.paris-lavillette.archi.fr/TR704/contenu/Sculptures/Cours_Jean_Letourneur.htm

Publikation: Tonröhrengewölbe-Baracken (Fusée céramique) im ehemaligen KZ-Lager Kaufering VII in Landsberg am Lech, Seite 75 – 86, Landsberger Geschichtsblätter, 114. Jahrgang - 2016

 
 

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